Aktuelles

BGH lehnt „taggenaues“ Schmerzensgeld ab

BGH, Urteil vom 15.02.2022, Az.: VI ZR 937/20

Der BGH hatte ein Urteil des OLG Frankfurt/M. vom 4. Juni 2020 – 22 U 244/19 – zu überprüfen. Das OLG hatte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes die Methode der sog. „taggenauen Berechnung“ angewendet. Danach wird die Schmerzensgeldhöhe in drei Rechenschritten ermittelt. In Stufe I werden unabhängig von der konkreten Verletzung und den individuellen Schmerzen Tagessätze ermittelt. Das OLG hatte z.B. für einen Tag Intensivstation 150 €, für einen Tag Normalstation 100 € etc. angesetzt. In der zweiten Stufe können je Einzelfall Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das OLG hatte z.B. wegen Vorerkrankungen einen Abschlag gemacht. In der dritten Stufe wird dann geprüft, ob eine abschließende Erhöhung des Schmerzensgeldes vorzunehmen ist, etwa wegen Dauerschäden oder schwerer Verfehlungen des Schädigers.

Der BGH hat die dargestellte Methode nun verworfen. Die schematische Konzentration auf Tagessätze lasse den konkreten Fall außer Acht. So bleibe unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten habe, welche Behandlung nötig war und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gelte für die Bewertung der künftiger Beeinträchtigungen. Auch die Anknüpfung an ein statistisches Durchschnittseinkommens sei unzulässig weil sie den individuellen Fall des Geschädigten nicht hinreichend beachte.

BGH stellt Anforderungen an die Begründung von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung klar

BGH | 16.12.2020 | Az. IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19

Bislang war in Rechtsprechung und Literatur umstritten, welche formalen und inhaltlichen Anforderungen an die nach § 203 VVG nötige Begründung eines Krankenversicherers an eine Prämienanpassung zu stellen sind.

Der Bundesgerichtshof nun klargestellt, dass bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt wird. Dabei, so hat das Gericht jetzt entschieden, muss angegeben werden, bei welcher Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beiden – eine nicht nur vorübergehende und den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung eingetreten ist und damit die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst wurde. Dagegen muss der Versicherer nicht die genaue Höhe dieser Veränderung mitteilen. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses anzugeben.

Der Gesetzeswortlaut sieht im Fall der Prämienanpassung die Angabe der „hierfür“ maßgeblichen Gründe vor und macht damit deutlich, dass sich diese auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen müssen. Eine nur allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht.

Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe soll dem Versicherungsnehmer zeigen, was der Anlass für die konkrete Prämienanpassung war. Dagegen hat die Mitteilungspflicht nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen.

Fehlende Angaben zu den Gründen der Prämienanpassung können vom Versicherer nachgeholt werden, setzen aber erst ab Zugang die Frist für das Wirksamwerden der Prämienanpassung in Lauf und führen nicht zu einer rückwirkenden Heilung der unzureichenden Begründung.

Arbeitgeber verweigert Zugang zum Arbeitsplatz ohne Corona-Test

ArbG Offenbach | 4.2.2021 | Az.4 Ga 1/21

Ohne Erfolg blieb ein Eilverfahren eines Arbeitnehmers vor dem ArbG Offenbach auf Fortsetzung seiner Arbeitstätigkeit beim Arbeitgeber nach Verweigerung eines PCR-Tests.

Der Sachverhalt:
Der Arbeitgeber verwehrte dem Arbeitnehmer den Zutritt zum Werksgelände, weil dieser sich weigerte, einen nach Ansicht des Arbeitgebers in einer Betriebsvereinbarung vorgesehenen PCR-Test durchzuführen. Aus Sicht des Arbeitnehmers verstoße die Anweisung, den Test durchzuführen, gegen das Recht auf Selbstbestimmung und sei weder durch das Weisungsrecht noch die Betriebsvereinbarung gedeckt. Der PCR-Test sei unverhältnismäßig, weil er einen invasiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bilde.

Das ArbG Offenbach wies den Eilantrag des Arbeitnehmers zurück. Der Arbeitnehmer hat die Eilbedürftigkeit einer sofortigen Entscheidung nicht belegt. Ein besonderes, eiliges Beschäftigungsinteresse war nicht erkennbar.

Gegen die Entscheidung kann Berufung eingelegt werden.

Bewerberauswahl im öffentlichen Dienst

Bundesarbeitsgericht | 28.01.2020 | 9 AZR 91/19

Öffentliche Arbeitgeber müssen bei der Stellenvergabe leistungsbezogene Anforderungen besonders stark gewichten.

Stellenausschreibungen und die Auswahl zwischen mehreren Bewerberinnen und Bewerbern müssen durch öffentliche Arbeitgeber sorgfältig geplant und durchgeführt werden. Insbesondere müssen die Anforderungen, die im Anforderungsprofil definiert werden, später auch bei der Bewertung der Bewerberinnen und Bewerber konsequent angewendet werden.

Dabei müssen fachliche Auswahlkriterien eine stärkere Gewichtung erhalten als sogenannte weiche Anforderungen, da ansonsten das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Prinzip der Bestenauslese nicht beachtet wird, so das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 28.01.2020, 9 AZR 91/19.

Im Streitfall hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass er nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der bestgeeignete Bewerber auf eine Stelle sei. Als seine Bewerbung abgelehnt wurde, hat er aus den genannten Gründen eine höhere Tarifgruppe gefordert, die er bei erfolgreicher Bewerbung in der ausgeschriebenen Stelle erlangt hätte. Die Klage scheiterte an dem Nachweis, dass der Kläger der bestgeeignete Bewerber war, auch wenn das BAG klarstellte, dass der öffentliche Arbeitgeber erhebliche Fehler bei der Bewertung der Bewerber gemacht hätte.

VW hat im Dieselskandal die Käufer vorsätzlich sittenwidrig geschädigt

Bundesgerichtshof | 25.05.2020 | VI ZR 252/19

Mit Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, hat der BGH die VW AG verurteilt, dem Käufer eines VW Sharan 1,6 TDI Schadensersatz zu zahlen. Das 2014 gebraucht von dem Kläger gekaufte Kfz hatte den „Schummel-Motor“ EA 189 verbaut. Der BGH hat eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch VW bejaht. Allerdings muss sich der Kläger Nutzungsersatz für die Zeit anrechnen lassen, in der er das Kfz gebraucht hat.

ALLGEMEINES RECHT
05/2020

BGH entscheidet über Rechtsbeschwerden im Kapitalanleger-Musterverfahren Hypo Real Estate

Bundesgerichtshof | 17.12.2020 | Az. II ZB 31/14

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 – II ZB 31/14, hat der BGH im Kapitalanleger-Musterverfahren zur Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten durch die ehemalige Hypo Real Estate Holding AG zwischen Juli 2007 und Januar 2008 den Musterentscheid des Oberlandesgerichts München vom 15. Dezember 2014 teilweise bestätigt.

KAPITALMARKTRECHT
12/2020

BGH contra EuGH?

Bundesgerichtshof | 31.03.2020 | Az. XI ZR 198/19

Mit Beschluss vom 31.03.2020, XI ZR 198/19, hat der BGH das Urteil des EuGH vom 26.03.2020, Rs. C 66/19, massiv eingeschränkt. Der BGH ist der Ansicht, dass eine Widerrufsbelehrung, welche der seinerzeit geltenden Musterbelehrung entsprach, als wirksam gilt. Das soll auch dann gelten, wenn die Belehrung nach den Maßstäben des EuGH fehlerhaft war. Damit stellt der BGH nationales Recht über europäisches Recht. Ob der EuGH dies akzeptieren wird, muss sehr bezweifelt werden.

ALLGEMEINES RECHT
03/2020

Kaskadenverweis in Widerrufsbelehrungen verstößt gegen EU-Recht

EuGH | 26.03.2020 | Az. C-66/19

Nach dem aktuellen Urteil des EuGH vom 26.03.2020, C-66/19, verstößt der früher flächendeckend von Banken und Sparkassen in Widerrufsbelehrungen zu Darlehensverträgen verwendete sog. Kaskadenverweis, gegen Art. 10 Abs. 2 lit. p der Richtlinie 2008/48. Die Richtlinie verlangt, dass im Kreditvertrag die Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts in „klarer und prägnanter Form“ anzugeben sind. Nach dem EuGH widerspricht es der EU-Richtlinie, wenn eine Widerrufsbelehrung zum Beginn der Widerrufsfrist auf nationale Vorschriften verweist, die selbst wieder auf weitere Vorschriften verweisen, vgl. Rn 40 des EuGH-Urteils.

KAPITALMARKTRECHT
03/2020

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